Stell dir vor, du scrollst durch einen Online-Shop, auf der Suche nach einer neuen Sonnenbrille. Oder vielleicht nur nach einem einfachen USB-Kabel. Dabei fällt dir auf, dass einige Produkte schon als „ausverkauft“ markiert sind. Interessant, oder?
Psychologisch passiert hier nämlich etwas Faszinierendes: Die verbleibenden Optionen wirken plötzlich attraktiver. Es ist, als ob der Hinweis den Wert der verfügbaren Produkte sofort steigen lässt.
Aber wo liegt die Grenze? Wann wird aus diesem Effekt eine negative Erfahrung?
In der Welt des Online-Marketings, besonders im E-Commerce, ist Verknappung natürlich eine gängige Methode. Doch es geht hier nicht nur darum, Druck zu erzeugen, schon gar nicht künstlich.
Oft macht es einfach Sinn, ausverkaufte Produkte klar sichtbar zu lassen – um zu signalisieren, dass sie gefragt sind. Denn eine gut platzierte “Ausverkauft” – Markierung kann eine positive Wirkung haben.
Aber was, wenn zu viele Optionen ausverkauft sind? Gibt es eine Zahl, die die Kaufentscheidung optimiert, oder vergraulen wir Kunden, wenn zu viel nicht verfügbar ist?
Genau das wollten Forscher in einer aktuellen Studie herausfinden:
1 Studie
Wie beeinflusst der Anteil ausverkaufter Produkte das Kaufverhalten – besonders bei Kunden, die vorher keine feste Präferenz hatten? Wie Erstkäufer, unregelmäßige Käufer, Gelegenheitskäufer, aber auch Impulskäufer.
Und noch spannender:
Können Unternehmen durch die klare Kommunikation dieser „Ausverkauft“ – Optionen wirklich die Verkäufe steigern? Wenn ja, wo liegt die Grenze zwischen effektiv und kontraproduktiv?
In einer Reihe von 5 Experimenten mit rund 1300 Kunden und unterschiedlichen Produkten – von USB-Kabeln, Kameras, Süßigkeiten bis hin zu Sonnenbrillen – fanden die Forscher einen deutlichen Zusammenhang:
2 Insights
1. Ausverkaufte Produkte wirken wie ein Qualitätssignal und steigern die Kaufbereitschaft
Ein moderater Anteil an vergriffenen Produkten steigert bereits die Kaufbereitschaft – und das bis zu einem Anteil von 50%. Danach kann es Kunden eher abschrecken.
Stell dir vor, dein USB-Kabel geht kaputt und du musst dringend ein neues bestellen. So wurde es auch den Teilnehmern der Studie erklärt, woraufhin sie in drei Gruppen aufgeteilt wurden:
Gruppe 1: Es wurden nur verfügbare Produkte angezeigt.
Gruppe 2: Zwei verfügbare und zwei ausverkaufte Produkte (50% ausverkauft).
Gruppe 3: Zwei verfügbare und vier ausverkaufte Produkte (66,7% ausverkauft).
Das Ergebnis:
Bei einem Anteil von 50% ausverkauften Produkten stieg die Kaufbereitschaft um 22,7% im Vergleich zu komplett verfügbaren Produkten.
Zwei Drittel ausverkaufte Produkte hingegen führten zu einer 12,4% geringeren Kaufbereitschaft im Vergleich zur 50%-Gruppe.
Aber ok, die Farbe eines USB-Kabels ist vermutlich wenig spannend. Wie sieht es mit einem anderen Produkt aus? Sonnenbrillen in verschiedenen Design – Ausführungen. Vermutlich ein Merkmal, auf das Leute mehr Wert legen.
Die Forscher variierten den Anteil an ausverkauften Brillen noch kleinteiliger: Von 0 über 25, 40, 50, 57, 63 und 67%.
Und was zeigte sich?
Die Kaufbereitschaft stieg kontinuierlich – von 25 bis 50% ausverkaufte Produkte. Sozusagen schon ein kleinerer Anteil reicht aus, um die Kaufwahrscheinlichkeit um 7,5% zu erhöhen.
Bei 50% vergriffenen Produkten stieg die Kaufbereitschaft sogar um 16,2%. Dies war aber auch der Sweet Spot. Sobald mehr als die Hälfte der Produkte ausverkauft war, nahm die Kaufbereitschaft wieder ab.
2. Warum zu viel Knappheit jedoch nach hinten losgeht
Ein Anteil an ausverkauften Produkten kann die wahrgenommene Qualität der restlichen Produkte steigern und Käufe anregen.
Aber ab einem bestimmten Punkt führt es dazu, dass Leute das Gefühl bekommen, in ihrer Wahl doch eingeschränkt zu sein, was Käufe verhindert – psychologische Reaktanz setzt ein.
Lass uns das ein wenig auseinandernehmen:
Hier spielen zwei Faktoren eine entscheidende Rolle:
Die wahrgenommene Qualität.
Psychologische Reaktanz.
Wenn beispielsweise 33% der Produkte ausverkauft waren, bewerteten die Leute die Qualität der verbleibenden Produkte höher. Ein gewisser Anteil an ausverkauften Optionen wirkt also wie ein Hinweis auf Qualität.
Dieser Effekt blieb bestehen, selbst wenn 66% der Produkte ausverkauft waren. Interessanterweise nahm die Stärke des Effekts zwischen 33 und 66% nicht weiter zu – das heißt, der wahrgenommene Qualitätsschub flacht schnell ab.
Aber hier kommt der zweite Faktor ins Spiel: Psychologische Reaktanz.
Stell dir vor, du suchst online nach einer neuen Sonnenbrille, aber viele der Modelle, die du siehst, sind ausverkauft. Am Anfang denkst du vielleicht: „Wow, diese Brillen sind anscheinend sehr beliebt!“
Doch wenn zu viele Optionen wegfallen und deine Auswahl zunehmend eingeschränkt ist, stellt sich vermutlich ein anderes Gefühl ein: Du fühlst dich in deiner Möglichkeit zur Entscheidung begrenzt.
Dieses Gefühl der Einschränkung wird psychologische Reaktanz genannt. Es beschreibt den inneren Widerstand, wenn wir uns in unserer Freiheit eingeschränkt fühlen. Und in diesem Fall führt es dazu, dass du möglicherweise gar nichts kaufst – oder einfach zu einem anderen Shop wechselst.
Wie gesagt, 50% ausverkaufte Produkte waren der Sweet Spot. Über diesen Punkt hinaus überwiegt das Gefühl der eingeschränkten Wahl und die Kaufbereitschaft geht zurück.
Noch ein entscheidender Punkt:
Dieser Effekt tritt vor allem dann auf, wenn Menschen für sich selbst einkaufen. Wenn sie jedoch für andere kaufen, spielt die Anzahl ausverkaufter Produkte kaum eine Rolle.
Warum? Weil beim Einkauf für sich selbst die persönliche Wahlfreiheit eine größere Rolle spielt – man ist stärker an die eigenen Vorlieben und Bedürfnisse gebunden. Beim Kauf für andere hingegen empfinden wir weniger Einschränkung, da wir emotional etwas distanzierter sind.
3 Aktionen
1. Setze „Ausverkauft“ bewusst ein
Nutze es selbst bei kleinen Anteilen, um einen spürbaren Effekt zu erzielen. Kommuniziere es klar erkennbar. Gehe jedoch mit echten Werten vor – keine falschen Claims.
Präsentiere eine moderate Anzahl ausverkaufter Optionen (etwa 20 – max. 50%) in deinem Online-Shop, um die wahrgenommene Produktqualität zu steigern. Besonders bei Produkten, bei denen Kunden wenig Vorwissen oder keine feste Präferenz haben, kann dies ein effektiver Hebel sein.
Tipp: Diese Strategie steigert nicht nur die Attraktivität der verbleibenden Produkte, sie lässt vor allem ähnliche, noch verfügbare Artikel besser erscheinen. Wenn du ein bestimmtes Produkt stärken möchtest, zeige ähnliche Produkte mit vergleichbaren Features, die bereits ausverkauft sind.
2. Die Dosis macht’s – Vermeide Reaktanz
Achte darauf, dass nicht zu viele Produkte ausverkauft sind. Wenn mehr als 50% der Optionen ausverkauft sind, setzt psychologische Reaktanz ein – und die Kaufbereitschaft sinkt.
Halte den Anteil an ausverkauften Produkten im mittleren Bereich, um positive Qualitätssignale zu senden, ohne negative Reaktionen zu provozieren.
Andernfalls kann es hilfreich sein, einige ausverkaufte Artikel inaktiv zu schalten oder zumindest nicht prominent zu platzieren.
3. Nutze den umgekehrten Effekt bei wieder verfügbaren Produkten
Wenn ein beliebtes Produkt ausverkauft war und wieder verfügbar wird, kannst du dies ebenfalls als starken Anreiz nutzen. Produkte, die als „beliebt“ oder „ausverkauft“ kommuniziert wurden und dann zurück in den Bestand kommen, können die Kaufbereitschaft erhöhen, weil sie als besonders gefragt wahrgenommen werden.
Tipp: Kommuniziere klar, dass ein Artikel „jetzt wieder verfügbar“ ist. Sätze wie „Beliebter Artikel – jetzt wieder auf Lager“ können das Gefühl der Attraktivität und Dringlichkeit weiter verstärken. Besonders bei Erstkäufern oder Gelegenheitskäufern.
Auch AirBnB macht in ihrem Bereich davon Gebrauch, indem sie gezielt kommunizieren: “Das ist ein seltenes Fundstück: Die Unterkunft ist meistens ausgebucht.”
Wie jede Woche gilt auch heute – teste die Ansätze und passe sie an deine Situation und Zielgruppe an. Und sieh selbst, wie gezielte Psychologie deine Kunden begeistert und deinen Verkaufserfolg steigert.
Beste Grüße.
Bernd
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