1 Studie, 2 Insights & 3 Aktionen

Warum klare Vorteile nicht bei deinen Kunden ankommen: Der „Off-by-100%-Bias“ erklärt

Wir alle kennen sie: Die verlockenden Versprechen großer Prozente. 

„125% mehr Saugleistung!“ verkündet der eine Hersteller stolz auf seiner Produktseite. Oral-B wirbt auf Amazon für seine Zahnbürsten mit „Entfernt 160% mehr Plaque zwischen den Zähnen.“

Und diese Zahlen erscheinen nicht nur in der Welt der Technikprodukte, sondern nahezu überall:

In Schlagzeilen zu den nächsten Marktprognosen – „Ein Anstieg von 150% in den nächsten fünf Jahren!“ – oder in Energieberichten, die von „200% höherer Effizienz“ sprechen. Selbst in Unternehmenspräsentationen, wo Wachstumszahlen beeindrucken sollen.

Kurz gesagt: In vielen Bereichen werden solche Zahlen gern und häufig genutzt. Schöne große Zahlen. Sehen auch beeindruckend aus – aber hast du dich jemals gefragt, ob sie auch wirklich verstanden werden?

Spoiler an dieser Stelle:

Viele Menschen haben Schwierigkeiten, diese Angaben richtig einzuordnen. Und mit „richtig einordnen“ meine ich, dass sie deren tatsächlichen Wert meist enorm unterschätzen.

In der Realität kommt die Botschaft also oft nicht an. Was Folgen hat. 

Überleg mal, wie stark das die Preiswahrnehmung und auch die Kaufentscheidung beeinflussen kann. Oder wenn Produkte im direkten Vergleich zum Mitbewerber stehen.

Daher schauen wir uns in diesem Beitrag an, warum Prozentangaben größer als 100% so schwer verstanden werden. Und noch wichtiger: Du erfährst, wie du diese Zahlen richtig kommunizieren kannst, um Missverständnisse zu vermeiden und deine Botschaften klar und überzeugend zu vermitteln.

1 Studie

Die aktuelle Studie der Southern Methodist University in Texas, USA, untersucht genau das: 

Wie Angaben wie „120% mehr“ die Wahrnehmung und Entscheidung von Menschen beeinflussen. Also, wie große Prozentangaben, die Veränderungen vermitteln sollen, auf Konsumenten wirken.

Stell dir folgende Situation vor:

Ein Mann möchte neue Scheinwerferbirnen für sein Auto kaufen. Auf Amazon findet er ein Produkt, das behauptet, „130% mehr Licht auf die Straße“ zu werfen im Vergleich zu einer Standardbirne.

Was denkst du, macht es einen Unterschied, ob er 130% mehr Licht versteht (2,3-mal so viel) oder ob er die Zahl nur als 30% mehr Licht wahrnimmt (1,3-mal so viel)?

Und das gilt natürlich nicht nur für Autoteile. Denk an Produkte wie Speicherplätze bei Cloud-Services, Akkulaufzeiten, oder in Richtung Steigerung von Klickraten – die Liste ist lang. 

Überall dort, wo Prozentzahlen ins Spiel kommen, können Missverständnisse wie diese starke Auswirkungen auf das Verhalten haben – auf die Preiswahrnehmung und natürlich auf die Kaufentscheidung.

Die Forscher führten ihre Untersuchungen in einer Vielzahl von Kontexten durch, darunter Preiswahrnehmungen in der Kunst, persönliche Finanzen, die Durchfallquote bei Studentenkursen, dem Energieverbrauch von Handys und sogar Bonuszahlungen.

Das in einem ordentliches Ausmaß. In sechs Hauptuntersuchungen mit insgesamt 2.395 Teilnehmern sowie 11 ergänzende Studien mit weiteren 3.249 Teilnehmern.

Dabei zeigte sich:

2 Insights


1. Wie Menschen hohe Prozentzahlen bedeutend unterschätzen – um 100%.

Gleich vorweg – derartige Prozentangaben werden stark missverstanden. Wenn ein Produkt „125% mehr“ Leistung verspricht, interpretieren viele dies fälschlicherweise als nur „25% mehr“. 

Die Forscher bezeichnen diesen Effekt auch als „Off by 100% Bias“.

In einem der Experimente wurden Teilnehmer in vier Gruppen eingeteilt und erhielten folgende Informationen:

Gruppe 1: Ein Produkt, das mit einem Video auf einer Verkaufsplattform beworben wird, steigert seinen Umsatz um 102%.

Gruppe 2: … um 98%.
Gruppe 3: … um 100%.
Gruppe 4: … um das Doppelte.

Anschließend wurden die Teilnehmer gebeten, den Umsatzanstieg zu schätzen. 

Das Ergebnis war eindeutig: 

Von allen vier Optionen wurde der Umsatzanstieg bei „102%“ am niedrigsten geschätzt. Erstaunliche 26% der Teilnehmer glaubten sogar, dass 102% mehr Umsatz nur einem Anstieg von 2% entspricht.

Dieser Effekt trat auch bei höheren Prozentangaben auf – bis hin zu 900%. Über mehrere Versuche hinweg: Mehr als 52% der Teilnehmer unterschätzten die tatsächliche Wertigkeit. Und zwar um volle 100%.

Interessanterweise zeigte sich dieser Effekt nicht nur bei positiven Zahlen, sondern auch im negativen Bereich:

Teilnehmer wurden gefragt, was ein Handy mehr einschränken würde: Ein Energieverbrauch, der um 92% steigt, oder einer, der um 108% steigt? 

Die Mehrheit schätzte die Akkulaufzeit bei einem 92%igen Anstieg als schlechter ein, obwohl sich ein Anstieg um 108% natürlich negativer auswirken würde.

Also warum ist das so?

2. Hohe Prozentangaben verwirren und verwässern deine Botschaft.

Interessanterweise ist der „Off by 100% Bias“ nicht auf eine fehlende Aufmerksamkeit oder mathematische Fähigkeit zurückzuführen.

Die Schwierigkeit liegt vielmehr darin, wie wir Prozente generell verstehen und verarbeiten. Hinzu kommt, dass Prozentangaben gerne auch unterschiedlich verwendet werden, was ihre Interpretation komplizierter macht.

Prozentzahlen können beispielsweise eine relative Veränderung ausdrücken: Wenn ein Staubsauger damit beworben wird „125% mehr“ Laufzeit zu bieten, bedeutet das, dass die Laufzeit nun mehr als doppelt so hoch ist – nämlich 225% der ursprünglichen Laufzeit.

Die Verwirrung tritt auf, weil unser Gehirn dazu neigt, „100%“ als das Ganze zu sehen, und dann „25%“ hinzuzählt, ohne dabei zu berücksichtigen, dass 100% bereits eine Verdopplung ist.

Bei einer anderen Art der Verwendung würde dies auch zutreffen:

Prozentzahlen, die eine relative Größe ausdrücken. Ein Staubsauger könnte damit werben, dass er „125% der Laufzeit“ eines Konkurrenzprodukts bietet. In diesem Fall bedeutet „125%“, dass das Produkt 25% mehr Laufzeit bietet als das Vergleichsmodell. Diese Berechnung folgt einer einfacheren Logik – wir nehmen das Ganze (100%) und addieren den Teil (25%).

Und wie du merkst, sind zwischen den beiden Varianten sprachlich nur kleine aber feine Unterschiede. Obwohl die Aussage eine deutlich andere ist.

Das Problem: Selbst mit klaren Hinweisen auf diesen Unterschied verstehen 30% der Leute dies falsch.

Also wie kannst du es klar und verständlich kommunizieren?

3 Aktionen


1. Kommuniziere in Multiplikatoren

Verwende Multiplikatoren anstelle von Prozentsätzen, vor allem bei Werten über 100%. Beispiel: „2,3x“ anstelle von „130%“. Das vermeidet Missverständnisse und macht es deinen Kunden leichter, relative Veränderungen einfach zu verstehen.

Anstatt zu sagen, dass die Speicherkapazität eines neuen Geräts um „200%“ gestiegen ist, könntest du sagen, dass sie jetzt „3x so groß“ ist. So verstehen deine Kunden sofort, dass sie nun dreimal so viel Speicherplatz haben wie zuvor, ohne sich in Prozentrechnungen zu verlieren.

2. Nutze Prozente bei Zahlen unter 100

Kommuniziere Werte unter 100% als Prozentsätze. Beispiel: „60% mehr Batterielaufzeit“ anstelle von „1,6x mehr“. In diesem Bereich sind Prozentangaben noch gut verständlich und wirken oft stärker, weil die Zahl größer erscheint. 

Diese einfache Regel hilft dir, deine Botschaften klarer und überzeugender zu vermitteln.

3. Unterstütze die Zahlen durch Aufklärung

Verstärke die Wirkung deiner Zahlen mit zusätzlichen Hilfsmitteln, um sie verständlicher zu machen:

Infografiken: Visualisiere Unterschiede zwischen relativer Veränderung und relativer Größe mit einfachen Diagrammen. So werden komplexe Konzepte greifbar und leicht verständlich.

Beispiele im Kontext: Verwende Alltagsbeispiele, die den Unterschied anschaulich machen und deine Kunden direkt abholen.

Erklärtexte: Platziere kurze, erklärende Texte direkt neben den Prozentangaben auf der Website, in Produktbeschreibungen oder in der Werbung. Das sorgt für Klarheit und Vertrauen.

Wie immer – Teste die Ansätze, passe sie an deine Zielgruppe an und nutze klare Kommunikation, um deine Botschaften wirkungsvoll zu platzieren.

Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, diesen Beitrag zu lesen. Lass mich wissen, wie dir das Format und die Inhalte gefallen haben. Dein Feedback hilft mir, die Insight’s noch besser zu gestalten.

Beste Grüße.
Bernd

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Studie: Fisher, M., & Mormann, M. (2022). The Off by 100% Bias: The Effects of Percentage Changes Greater than 100% on Magnitude Judgments and Consumer Choice. Journal of Consumer Research, 49(4), 561-573.

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